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Der Flirt mit dem Todesengel
"HIV+2" von Christian Wolz im Berliner Theater am Halleschen Ufer (2002)
Zuerst ein scharfer, hoher Ton im Diskant, dann bricht das Inferno los. Der ganze Körper des Sängers tremoliert er wird zum Instrument, ebenso wie die beiden Mikrophone, zwischen denen der Mund virtuos hin- und herzuckt. Gesang wird man das nicht nennen, es ist so unendlich viel mehr: Die Stimme von Christian Wolz, die an sich schon unglaubliche Dimensionen von den höchsten Tönen bis zum sonoren Bariton umfasst, bringt in rasendem Wechsel krächzende Geräusche hervor, die durch elektronische Manipulation und über Lautsprecher von beiden Seiten auf den Zuschauer herabsausen. Wie die Attacke eines bösartigen Alien und tatsächlich handelt es sich um eine Performance zum Thema Aids.
Die Welt hat sich mit Aids eingerichtet. Kein Mensch redet mehr darüber, und gerade deshalb steigen die Infektionszahlen auch in Deutschland wieder an. Im Berliner Theater am Halleschen Ufer findet eine Aktionswoche "Aids und Kultur" statt, veranstaltet vom Kulturring, der Nachfolgeorganisation des Kulturbundes der DDR, und unterstützt mit Mitteln der Lottostiftung. Der Berliner Vokalkünstler Christian Wolz, der vor sieben Jahren am gleichen Ort mit seiner Einmannoper "Cor" schon einmal ein Stück zu Aids präsentiert hatte, hat diesmal sieben HIV-positive schwule Männer aus Berlin interviewt, daraus kurze Statements herausgeschnitten und in Blöcken montiert. Zwischen den Blöcken kommt Wolz gemessenen Schrittes auf die Bühne und singt.
Während die Zuschauer auf Detailaufnahmen der von Aids geprägten Körper der Interviewpartner blickt Wolz hat seine künstlerische Karriere als Fotograf begonnen hören wir vom Aufbruch in die Freiheit des schwulen Lebens der Großstadt, was damals noch die Utopie eines neuen Lebens- und Liebensentwurfes bedeutete. Und wir hören von der Infektion und dem Leben mit den Krankheiten und Medikamenten. Wir hören aber auch Zufriedenheit: Ich bin privilegiert, weil ich nicht mehr arbeiten muss, weil ich jeden Tag genießen kann, so wie er kommt, und den Sex mit positiven Männern genieße ich auch.
Die Musik von Wolz setzt dazu Kontrapunkte von einer emotionalen Intellektualität, die keinerlei triefende Betroffenheit aufkommen lässt. Bald stimmt er einen Klagegesang an, der weit ausschwingt und an orientalische Melismen erinnert, bald tänzelt er zu Diskorhythmen über die Bühne. Im enganliegenden, armfreien Latex-Kostüm mit weit geschnittenen Beinen (Kostüm: Stephan Bolz) verkörpert der Sänger die Verlockung, die an das Virus gekoppelt ist es wird durch Sex übertragen, und das Risiko des ungeschützten Verkehrs ist für viele offenbar der besondere Kitzel des Flirts mit dem Todesengel.
Bühnenmittel neben den Diaprojektionen und dem Auftreten des Sängers nur ist nur das raffinierte Lichtdesign von Rainer Grönhagen, der einerseits Wolz ins rechte Licht setzt, andererseits auch Atmosphären schafft, die uneindeutige Zeichen setzen. Am Anfang und am Ende tritt Wolz in einem langen, schwarzen Latex-Mantel auf, ein androgynes Wesen zwischen böser Königin und Hohepriester. Aber was singt er da? Wenn er nicht in seiner eigenen Phantasiesprache singt, formt er seine Melismen nach dem genetischen Code des Aids-Virus. Er vermittelt keine Botschaft, sondern überlässt das Denken und Fühlen seinen Zuschauern.
Immer aber hören wir Vokalkunst von aberwitziger Virtuosität. Reine Zischlaute, leise Zungen- und Mundgeräusche, alles wird zu Musik. Christian Wolz bringt es fertig, mit seiner Stimme gleichzeitig einen Ton zu singen und ein Geräusch zu produzieren und beide über Mikrophon und Elektronik zu einer Klangerfahrung zu verarbeiten, die durch Mark und Bein geht. Im akademischen Musiksektor hat es seit langem keine vergleichbare Arbeit gegeben, die ähnlich gut durchdacht und musikalisch aufregend ist.
Bernd Feuchtner / Süddeutsche Zeitung / 10. Juni 2002
Nervenkitzel statt Soundgeriesel
Dudelfunkgeschädigte dürfen wieder hoffen: Mit dem Mini-Festival "Hörzu - Zeichen und Wunder" balsamiert das Junge Theater ihre Wunden - und senkt wohltuende Düsternis in die Ohrmuscheln seiner Zuschauer
Es stimmt, was David Bowie über das Radio sagte: früher war es anstrengend, gute Musik zu finden; heute ist es schwer, gar keine Musik zu hören. Noch schlimmer sei es mit guten Hörspielen geworden, finden Carsten Werner und Sonja Vogt vom Jungen Theater Bremen. Dank ihrer Initiative dürfen Zu-viel-Schlechte-Musik-Geschädigte wieder hoffen: Die beiden haben ein Programm erstellt, das dem Hör-Sinn gewidmet ist. Hörzu heißt das Mini-Festival. Es startete am Sonntag mit Christian Wolz aus Berlin. Mit "HIV+2" nähert der sich einem Thema, dass nur noch einmal im Jahr in den Medien auftaucht: am Welt-Aids-Tag.
Mittelpunkt der einstündigen Performance bildet ein Interview, das Wolz 2001 mit sieben schwulen Männern geführt hat. Sie schildern, wie sich ihr Leben seit der Infektion verändert hat. Dazu, im Hintergrund, Fotografien, mit zum Teil von der Krankheit gezeichneten Gesichtern: Ein Crash-Kurs über das Leben mit dem Virus.
Auf einer zweiten Ebene löst Wolz diese dokumentierte Wirklichkeit auf. In einem nicht endenden Kreis schreitet er um die Leinwand und macht das nicht Sichtbare hörbar. Wie sieht das Leben mit der Krankheit aus? Angst als schriller Singsang, Bedrohung als pulsierender Bass: Der Virus steckt in Wolzens Gesang. Millionen winziger Aliens kreisen durch den Raum und in den Hörsinn der Besucher. Einziges Instrument ist dabei die Stimme, die sich aus einem Schrei in vielschichtige Choräle steigert. Walz wird zum Schamanen. Doch er versinkt nicht in Agonie, sondern fragt nach: Mit dem Tod endet die Krankheit, mit der Suche nach dem Warum "HIV+2".
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taz Bremen Nr. 6926 vom 10.12.2002, Seite 23, 81 Zeilen (Kommentar), Hannes Krug , Rezension
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