presse - COR

Ein Hauch von Endgültigkeit...

...Das höchst subjektive Herausschreien seiner Empfindungen macht einen Teil der Qualität seiner Arbeit aus, auch wenn einiges zu lang und der Tod im aufgehängten Käfig am Schluß zu plakativ wirkt. Dazu tritt Christian Wolz' sinnliche Kraft, deren Authentizität über manche Länge trägt und das Aids-Thema ohne Larmoyanz auf die Bühne bringt.

nno / Frankfurter Allgemeine Zeitung / Jan. 95






Schrei nach Leben...

Christian Wolz hat die Stimme, um dem Entsetzen sprachlos Sprache zu verleihen; er schreit sich in seiner Avantgarde-Opera die Seele aus dem Leib.

COR peinigt den Zuschauer wie ein Bild von Francis Bacon. Die formale Gestaltung retett das Stück vor dem naturalismus des ungestalteten Schreis, den Aids im einzelnen hervorruft. Die Wucht, mit der diese Ein-Mann-Oper auf den zuschauer wirkt und ihm auf den magen schlägt, ist auch das Echo des Umgangs der Gesellschaft mit dieser Krankheit.

Bernd Feuchtner / Opernwelt / Juni 94






Das Herz ist ein Hohlmuskel...

Aids-Tod als Avantgarde-Oper: COR von Christian Wolz

Ouvertüre: In der tiefen Dunkelheit macht sich nur etwas rotes Licht bemerkbar, gerade soviel, daß ein Schemen am, vorderen Bühnenrand sichtbar wird. Noch hat die Stimme, die sich tremolierend, heulend, schreiend über den Raum legt, kein Gesicht. Vom Band kommt ein laut schlagendes Herz, und ein Sprecher holt die realitätsabgewandte Stimmung auf den Boden der wissenschaftlichen Tatsachen zurück: "Das Herz ist ein Hohlmuskel, der die Aufgabe hat, das Blut durch den Körper zu pumpen." "Diasystolication", der erste Akt von Christian Wolz' Avantgarde-Oper COR, hat seinen Lauf genommen - und damit die Geschichte vom HIV-infizierten jungen Mann, der nur noch durch eine Sprache, die seine eigene Welt beschreibt, mit der Umgebung kommunizieren kann. Dieses Kommunikationsmittel aus der Tiefe der Seele ist Lautmalerei und Urschrei zugleich, phonetische Poesie und Hilferuf zwischen Verzweiflung und Erschöpfung. Der Dialog eines Mannes mit seinen Ängsten, Hoffnungen und Erinnerungen kommt nicht von ungefähr: Jahrelang hat Wolz als Krankengymnast in psychiatrischen Anstalten, später dann in einem Aids-Hilfe-Projekt gearbeitet. Die Erfahrungen dieser Zeit fließen in seine Kompositionen, Texte, Bilder und Improvisationen ein. Selten hat jemand die Mär vom Aids-Tod als Orgasmus schwulen Lebens schonungsloser entlarvt und gleichzeitig die menschliche Isolation eines Infizierten deutlicher gemacht. Dabei verzichtet Wolz auf jegliche Verspieltheit, der Anzug ist nur eine zweite Haut, die Bühne bis kurz vor Schluß völlig kahl. Die geniale Lichtchoreographie von Martin Hauk unterstreicht das Fokussierende der gesamten Aufführung. Die hohe Konzentration entsteht durch gezielte Bündelung, die Atmosphäre der Premiere von COR im Theater am Halleschen Ufer gleicht nicht selten der Stimmung in einer Kirche. Übergroße Dias schieben sich immer wieder ins Blickfeld, wirken, nicht nur aufgrund ihrer Drastik, zusammen mit der akustischen Ebene wie ein Stummfilm. Bilder von Männerkörpern, nackt und ineinander verschlungen, Solarisationen und Verfremdungen, die nicht erotisch wirken, sondern wie das Echo eines Lebens, das erledigt noch einmal Revue passiert. Der . "Vokalartist" Wolz ist das Medium, er führt mit seiner Stimme diese Endphase eines zu kurzen Lebens, krächzt, röchelt, wimmert, hechelt, singt sich in lichte Höhen, seltener in die Baßregionen. Mit bis zu fünf Mikrophonen arbeitet der Sänger auf der Bühne, scheint die Eigenheiten dieser Stimmverstärker und -verzerrer aus dem Schlaf zu beherrschen. Die begleitende Soundspur, eine Mischung aus Texten - die meisten Zitate sind aus Gesprächen mit Aids-Kranken - Streichinstrumenten, Gesängen und der Klangwelt einer Intensivstation, ist dem Wolzschen Vokal- und Bildwerk auf den Leib geschneidert. Und doch ist das Ensemble von Bandeinspielungen und Live-Effekten des Guten zuviel, potenziert die permanent und exzessiv verwendete Technik manches, was durch des Vokalisten Ausdrucksstärke, schon genug wäre. Am Ende' sitzt das sterbende Individuum in einem Glaskäfig, von draußen tönt das weiterblubbernde Leben – Kinderlachen und Schritte von Passanten. Das Publikum ist ernst, ergriffen und erledigt zugleich. Eine Zuhörerin macht sich, kaum auf der Straße angekommen, Luft, setzt die Aufführung mit eigenen Mitteln fort und schreit und schreit und schreit...

Anna-Bianca Krause / taz / April 94






Schreie im Dunkel...

Einfach nur "Gesang" kann man die Stimmakrobatik, die der junge Berliner Christian Wolz vollzieht, nicht nennen. Die Zunge redet wirr; gellende, gurgelnde Schreie wie das Kreischen der U-Bahn in den Kurven; Urlaute vermengt mit Sprachfetzen und Lauten aus außereuropäischen Kulturen und einer erfundenen Symbolsprache. Ein Ächzen, Stöhnen, Schreien über mehrere Oktaven hinweg...Aufbereitet durch elektroakustische Verfremdungen, verschiedene Mikrophone, die zu eigenen Musikinstrumenten werden, wird jeder Aufführungsabend zu einer Mischung aus Durchführung einer genauen Komposition und nicht berechenbarer Improvisation.

Axel Schock / Siegessäule /April 1994






COR...

Christian Wolz' avantgardistische Ein-Mann-Oper drängt dem Zuschauer keine Betroffenheitslyrik auf, fordert nicht oberflächliche Identifikation mit den Opfern der Seuche. Sie gestaltet den Schrei der Verzweifelung so, dass er eindringt, trifft. "COR" ist ein Schlag in den Magen für eine Gesellschaft, die gern wegsieht und vor den - absehbaren - Folgen von Aids, wie anderer Katastrophen auch, die Augen verschließt. zugleich bringt sie die Entdeckung eines Vokalartisten und Bühnenkünstlers, dessen Eigenart und Besessenheit noch einiges erwarten läßt.

Michael Franke / Die Deutsche Bühne / August 1994






Schreie des Lebens...

...Die Schrei der Verzweiflung, mit denen der 75minütige Live-Mitschnitt aus dem Theater am Halleschen Ufer beginnt, rufen etwa Assoziationen zu Wes Cravens Vodoo-Thriller "Die Schlange im Regenbogen" hervor, wo Diamanda Galas mit ihrer Stimme die ruhelosen Zombies mit schmerzerfüllten Leben beseelt. Und die Art, wie immer wieder nüchtern vorgetragene Erzählpassagen die Kakophonie des Grauens vor dem Tod überlagern, erinnert nicht von ungefähr an Derek Jarmans letzten Film "Blue", mit dem der homosexuelle Kult-Regisseur, den Tod bereits vor (blinden) Augen, seine Auseinandersetzung mit der Gewissheit des baldigen Sterbens in poetische Sprache tauchte. - Auch wenn die Farben, die ganzen Bühnenaufbauten felen, vermag die Musik auf "COR" doch einen Eindruck von Christian Wolz' ungewöhnlicher Intensität zu vermitteln. "Ich habe dieses Leben nie ganz begriffen und ich werde es auch wohl nie ganz begreifen! Ich will nicht auf irgendwelche Krankheiten warten, die da vielleicht auf mich zukommen werden! Ich will noch etwas von diesem Leben!", heisst es in "Dein Blut ist unrein".

Dirk Hoffmann / Tagesspiegel / Dezember 1994





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