presse - El Castata | ||||||
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Ein Klang durchmißt die Welt, Christian Wolz, Stimmkünstler und Fotograf Man erzählt von Leuten, deren Stimme Glas zersingen kann. Das zeigt die alte Faszination dieses menschlichen Organs, dem schon der Mythos übernatürliche Kräfte zumaß. Christian Wolz zersingt zwar kein Glas, aber wenn er bei einem Auftritt seine Stimme erschallen läßt, jagt dies den Anwesenden erst mal einen Schauer über den Rücken. Da ist ein elementarer Ton in hoher Lage, stahlklar zunächst, der dann in schriller Dissonanz zu vibrieren beginnt und dabei langsam absinkt. Ein leise gesummtes Motiv gewährt ein kleines Aufatmen. Rasselndes Luftholen, erneut bohrt sich ein tremolierender Lautstrahl durch den Raum, Schrei einer besessenen Seele. Christian Wolz hat aber nicht nur die Stimme, um sich künstlerisch auszudrücken. Angefangen hat er mit Fotografie. Er stellte Diafolgen zusammen, die Bilder sind mit Skalpell und Klebstoff bearbeitet, verfremdete Selbstporträts, Gesichter lösen sich auf in Staub. Mit irgend beliebiger musikalischer Untermalung gab er sich nicht zufrieden, also begann er dort zu singen. Das war im SO 36, in verschiedenen Galerien und im Februar 1991 in der HdK in Berlin, auch während der Art Cologne 91. In Erinnerung ist noch die Performance im Lindentunnel Anfang dieses Jahres, den die "Freunde guter Musik" in Auftrag gegeben hatten. Im Tunnel fing auch an, was heute die Technik liefert: dort sang und schrie Wolz ungeniert die Stimme aus, um Halleffekte auszuprobieren. Andere elektronische Verfremdungen sind dazugekommen. Bei seinem Stück "Venus" überlagern sich fünf Bänder, die ihrerseits manipuliert sind, bilden Interferenzmuster aus unverständlichen Lauten. Das geht natürlich nur mit einer so farbenreichen Stimme und wenn man eine so klare Vorstellung von Form hat. Auch mechanische Manipulation gehört dazu "das so zu machen, daß ich keine blauen Flecken davon kriege, habe ich schnell gelernt", lacht Wolz auf. Er legt mir eine Platte auf Diamanda Galas, in Berlin war sie im Hebbel-Theater und im Metropol zu erleben, ist eines seiner Vorbilder "immer Frauen, denn Männer sind mir zu technisch, in der Stimmführung wie instrumental" - auch Cathy Berberian und der amerikanische Neodada der sechziger Jahre oder Lisa Gerard. Außerdem exotische Gesänge, nein, weniger die bulgarischen Frauenstimmen als Arabisches, das er im Radio oder im Völkerkundemuseum gehört hat. Diamanda Galas feiert Rituale der Verzweiflung, schreit an gegen den Aids-Tod, aber Christian Wolz findet, daß dieser Gesang Energie gibt. Auch in seinem Freundeskreis hat Aids zugeschlagen, es gehört zu seinen Themen, ebenso wie die Gewalt gegen Frauen, Schwule, Ausländer, wozu er eine Klanginstallation gemacht hat. Und wenn er zur Zeit eine Trilogie über Geburt, Leben und Tod produziert, klingt das gar nicht morbid, sondern sehr kraftvoll. Selbst Stücke, die beim ersten Hören durch ihre Schrillheit verstören, erweisen sich später als phantasievolle Erprobungen der eigenen Kraft. Diese Geburten sind nicht so sehr schmerzhaft als vielmehr erfüllt von Omnipotenzwahn.. Der Hall entgrenzt den Raum, das ist wie Singen in der Badewanne. Die Welt gehört mir, sagt diese Musik, singend erobere ich sie mir. Für sich hat Christian Wolz noch nicht soviel erobem können. Der Fünfundzwanzigjährige, in weißen Jeans und weißem T-Shirt, sitzt mir in der kleinen Küche einer Einzimmerwohung ohne Bad gegenüber, in einem Moabiter Hinterhof. Im Zimmer sind die Dielen weiß gestrichen, das Regal verschwindet hinter einem schwarzen Vorhang, aus Metall sind das Schubladenschränkchen für die Fotos und das Regal, in dem die Anlage und die Platten stehen. Im Seitenflügel gegenüber wird gerade das Dach aufgestockt, und auch Wolz bekam gerade die Mieterhöhung in den Kasten. Nutznießer der Modernisierung Berlins ist er nicht. Er lebt bewußt und gesund, sagt er, kocht naturbelassene Produkte und trinkt Tee. Zwei Laster allerdings: Zigaretten und Schokolade, beides freilich in Maßen. In Berlin geboren, wuchs er im katholischen Westfalen auf, und in diese Vergangenheit kriecht er dann und wann zurück. Ein Requiem gestaltete er als Widerhall gregorianischer Gesänge, über die sich ein verzückter Sopran legt, die reine Regression, Geborgenheit und Abstoßung zugleich, betitelt als Grabgesang "für uns Totgeburten". Auch der Mittelaltertrend hat es ihm manchmal angetan, mit Trommelschlägen und Altertümelei. Christian Wolz fixiert seine Stücke nicht, sondern entwirft nur ein Formschema, nach dem jedes Mal spontan improvisiert wird. Ob im Aufnahmestudio für seine erste CD "EI Castata" oder beim Live-Auftritt, die Tagesform ist entscheidend. Alle Techniken hat er sich selbst beigebracht, er scheut Gesangsunterricht, weil er Angst hat, nach dem Schema des Lehrers umgeformt zu werden. Aber Wolz hat alles, was es braucht: eine natürlich kräftige Stimme und eine entwickelte Atemtechnik, die er bei einer Krankenpflegerausbildung im Zivildienst gelernt hat. Alles andere hängt von der Psyche ab. "Ein Kloß im Hals kommt von dem, was du vorher alles geschluckt hast!" Am Anfang hatte er noch Panik, wenn vor dem Auftritt die Stimme weg war: sobald es losgeht, ist sie ganz wieder da. Wer Wolz-Titel im Lexikon sucht, wird wenig finden. Dann sind es Phantasieworte, frei assoziiert " Antimedeum", "Citoma", aber auch "Predigt für höhere Töchter", Produktiv war für ihn oft die Zusammenarbeit mit anderen Musikern, mit Percussionisten beim Projekt "Dämonium/Satanas/Luzifer", mit Jazzern, mit der Cellistin Reinhild Mehling. Deren ruhigen Cellobrummton beispielsweise umspielt er, fächert ihn auf vom Geräusch bis zur Kantilene, die sich aus Ritualgesängen von Europa über den Nahen Osten bis Tibet zu speisen scheint, bis er nach der Erdumkreisung in den Instrumentalton zurückkehrt Weltschmerz 1992. Bernd FEUCHTNER / DER TAGESSPIEGEL / SONNTAG, 20. SEPTEMBER 1992
Christian Wolz: EI Castata MCD Um es vorweg zu nehmen, bei EI Castata handelt es sich zweifellos um die außergewöhnlichste Veröffentlichung des Bayreuther Danse Macabre-Labels, eine Produktion, die man vielleicht eher Dark Vinyl oder Unclean zugetraut hätte. Die Klänge dieser CD lassen sich nur schwerlich kategorisieren. Die Musik kann man wohl am ehesten als Avantgarde bezeichnen, sie besteht fast ausschließlich aus der faszinierenden Stimme Christan Wolz's ein Vergleich mit Diamanda Galas drängt sich somit fast auf. Das in schlichtem Grau aufgemachte CD-Cover verzichtet auf jegliche Klischees, lediglich zwei kunstvolle Fotografien illustrieren die Klänge der CD. Zu den Kompositionen selbst möchte ich eigentlich nicht viel sagen. Jeder interessierte Hörer sollte sie für sich selbst entdecken. Nur so viel: Nach dem ersten, etwas schwächeren Lied Citoma steigern sich die folgenden Songs unaufhaltsam dem Höhepunkt, der für mich klar beim letzten Song Stagmati liegt, entgegen. U.M. / 1992
...Es ist überhaupt nicht mein Geschmack, aber Hut ab vor Christian Wolz' Stimme. Intro / Nov.-Dez. 92
Diffizil bizarre vokale Geniestreiche verzahnen sich auf Neologismon I zu rythmischen percussiven Figuren, die in der gegenwärtigen Musikgeschichte nur wenig Parallelen aufzuweisen haben. Wolz bietet eben etwas mehr als das allseits bekannte Wummtata und Tätterä. Saarlouiser Rundschau / July 92
...Es ist schon eher ein klassisches Werk als eine Independentproduktion... EB Metronom / Sept. 92
Heute wird mir wahrhaft ein Privilleg zuteil: Ich darf eine Platte besprechen, wie es sie wohl noch nie gegeben hat. Von der Stimme her wirklich ohne Zweifel eon Ausnahmekünstler. Ein wahres Kunstwerk, eines, das es auch verdient, so genannt zu werden. Heiko Grusdat / Noisegate / März 93 |
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